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Britta Lumer - Lucyll’s Sounds (translator Alex Scrimgeour) <|>
 
 
Lucyll is carried by a melody. Harmonies give her momentum; she moves in her own rhythm. Nobody can hear this music but her.
 
Each of her hours is coloured. Midday is violet like an amethyst. Around then Lucyll often gets a little sleepy. Shortly past noon the only thing she can still hear is a quiet humming.
 
She wakes up slowly. As her consciousness returns, the sounds and noises again become clearer. Seemingly approaching from afar: creaking stairs, heavy steps on loose beams, wooden shoes on a stone floor, a scratching in the hearth—as if the house were coming alive.
That must have been a long time ago. Lucyll has a boundless memory of sounds. All the noises of her past conjoin, creating an ornate sound-geography.
The sounds of the present join those that have been preserved. They superimpose themselves onto them, and they both become interwoven. A sound-snowball. Fragments of a melody that can freely circle around themselves.
 
1956: spitting out cherry pips.
1973: the signalman’s warning.
1981: the bell ringing as the barrier comes down.
1995: then the trains clattering by.
2007: a tinny and scratchy radio, echoing in a large room.
At the same time, from far away: something being ground down, spattering, bright.
Then, on its own, a motor, growling monotonously.
A gas compressor running: very precise, intense.
In a glass container: metallic clinking.
A traffic announcement: whirring, a piercing whistled tune.
The wind whistles too, but it’s lower, hollow; audibly eddying around the courtyard.
From above: Pacing, on hard heels, very muffled.
Right close by: ticking.
Again from outside: a bicycle bell tinkles, very bright.
 
There are also narratives of sound whose origins are shrouded in darkness. Recurring sequences, such as: wooden thumps, sharp knocking; or passages of very gentle squeaking.
 
The voices of Lucyll’s past resound within her; they create an endlessly recurring echo. Sounds that ground her and sounds that make her flounder. Synthetic-sounding segments that pull her into a new time.
Delicately sparkling, seemingly instrumental strains lull her into a feeling of solitude that seems new to her.
So she starts making an effort to connect with other people. To savour how it is to share the same cup and to have four eyes instead of two.
 
Basically the entire soundscape is a force that pushes her on, holds her tight, breaks her into pieces and then puts her together again. It’s sound waves that carry her, like a river that takes her along with it.
Mostly, the sound pulses almost unnoticeably in the background, while faint audio tracks overlay whatever happens. Samples dive beneath the surface and for a while take control of the expedition.
Sounds of clear-voiced singing broaden into languorous refrains that open up the space of the sound. A catchy, light-filled tune carries airy compositions that leave her plenty of room.
 
Mostly Lucyll manages to meld the elements from various times into a cohesive whole, wrapping together the sound produced in the present and the historical base so tightly that the levels can hardly be held apart any more. She listens with great optimism to the productive coexistence of the most varied paths.
 
It gets bad when she resists, when she doesn’t want to hear. Then the sound foundation becomes black ice she must pass over, the refrains become walls that seem insurmountable, and the compositions become wild animals that pursue her yet further. Her head seems to burst in a noose, while her feet hang in a void. Then unbearable ear-piercing repetitions drill inward between her ears.
 
If she manages to find potential in the archaic roaring of these fragments, succeeds in opening far-reaching perspectives, taking up this sonic matter within her, she can give herself over to it completely. Then existence constitutes something joyful, positive; the music is sweet, even friendly, many-sided, twinkling, hybrid.
 
Then Lucyll moves elegantly again, light-footed and relaxed, among all arrangements.
 
 

 
 
Britta Lumer - Lucylls Klänge
 
Lucyll wird von einer Melodie getragen. Akkorde geben ihr Impulse, sie bewegt sich in ihrem eigenen Rhythmus. Diese Musik ist nur für sie allein hörbar.
 
Ihre Stunden sind gefärbt. Die Mittagszeit ist violett wie ein Amethyst. Lucyll wird dann regelmäßig leicht schläfrig. Ab zwölf hört sie nur noch ein leises Summen.
 
Sie erwacht langsam. Mit zunehmenden Bewusstsein werden die Klänge und Töne wieder deutlicher. Scheinbar aus der Ferne näherkommend: Knarrende Treppenstufen, dumpfe Tritte auf losen Balken, Holzschuhe auf Steinboden, ein Scharren im Kamin, wie: Als es im Hause lebendig wurde.
Das muß lange her sein. Lucyll hat ein steinzeitliches Gedächtnis wenn es um Geräusche geht. All die Töne ihrer Vergangenheit knüpfen sich zu einer ornamentalen Klanggeographie.
Zu den gespeicherten Lauten gesellen sich die aktuellen. Sie überlagern einander und durchdringen sich. Ein Sound-Schneeball. Melodische Fragmente, die endlos um sich selbst kreisen dürfen.
 
1956: das Ausspucken von Kirschkernen.
1973: das Signal des Bahnwärters.
1981: die Klingelintervalle der sich schließenden Schranke.
1995: Dann vorbeiratternde Züge.
2007: blechern kratziges Radio, hallend.
Gleichzeitig von weit her: etwas wird geschliffen, spritzend, hell.
Dann isoliert: ein brummender Motor, eintönig.
Ein Kompressor lädt sich auf: sehr präzise, druckvoll.
Im Glascontainer: metallisches Klirren.
Eine Verkehrsmeldung: Surren, schrilles Pfeifen.
Der Wind pfeift auch, aber tiefer, hohl, ein hörbarer Sog im Hinterhof.
Von oben: Schritte auf harten Absätzen, sehr dumpf.
In unmittelbarer Nähe: Ticken.
Wieder von draußen: eine Fahrradglocke, sehr hell.
 
Auch gibt es Klanggeschichten deren Entstehung im Dunkeln liegt, wiederkehrende Tonabfolgen wie: hölzern schlagende Laute, helles Klopfen oder ein Streifen sehr zartes Quietschen.
 
Die Stimmen von Lucylls Vergangenheit klingen in ihr nach, sie bilden ein ewig wiederkehrendes Echo. Töne die sie erden und Klänge die sie zerstreuen. Synthetisch klingende Versatzstücke die sie in eine neue Zeit ziehen.
Feingliedrig-perlende, scheinbar instrumentale Stücke lullen sie ein, in ein Einsamkeitsgefühl das ihr neu erscheint.
Dadurch unternimmt sie Anstrengungen, sich mit anderen zu verbinden. Das Gefühl auskosten, zu zweit aus einem Kelch zu trinken und vier Augen zu haben statt zwei.
 
Im Grunde ist die gesamte Geräuschkulisse eine Kraft die sie antreibt, festhält, auflöst und ihr wieder Struktur gibt. Es sind Klangwellen die sie tragen, ein Fluß der sie mit sich nimmt.
Zumeist pulst es fast unmerklich im Hintergrund, während sich subtile Tracks über das Geschehen legen. Es tauchen Samples unter die Oberfläche und übernehmen eine Zeitlang das Steuer der Expedition.
Stimmen von akzentuiertem Gesang münden in wohlige Refrains, die den Klangraum öffnen. Ein lichtdurchfluteter Groove trägt luftige Kompositionen in denen ihr viel Platz bleibt.
 
Meist gelingt es Lucyll, die Elemente aus verschiedenen Zeiten zu einem geschlossenen Ganzen zu verschmelzen, aktuelle Klangerzeugung und historische Grundierung so eng zu ummanteln, daß die Ebenen kaum mehr voneinander zu trennen sind. Sie hört mit großem Optimismus von der produktiven Koexistenz unterschiedlichster Wege.
 
Schlimm wird es, wenn sie sich widersetzt, wenn sie nicht hören will. Dann wird die klangliche Grundlage zum Glatteis über das sie gehen muss, werden die Refrains zu Mauern, die unüberwindbar scheinen und die Kompositionen zu wilden Tieren, die sie doch weiter treiben. Ihr Kopf scheint in einer Schlinge zu platzen, während die Füße im Bodenlosen hängen. Zwischen ihren Ohren fräsen sich dann unerträglich schrille Wiederholungen.
 
Gelingt es ihr, in diesen archaisch tösenden Bruchstücken Potential zu erkennen, sich weitreichende Perspektiven zu eröffnen, das Klangmaterial in sich aufzunehmen, kann sie in ihm völlig aufgehen. Dann verkörpert das Dasein etwas Freudiges, Positives, die Musik ist süß, ja freundlich, vielseitig, funkelnd, hybrid.
 
Lucyll bewegt sich dann wieder elegant, leichtfüßig und gelassen zwischen allen Arrangements.